Den demokratischen Rechtsstaat und die Verfassung schützen – Undercover gegen Nazis.

30.09.2018 Was macht eine Polizei, die an konspirativ organisierten Neonazi-Konzerten regelmäßig scheitert, wenn sie es mit Terroristen zu tun bekommt? Die Antwort auf diese Frage kennen wir längst. Das Desaster können wir am Beispiel des NSU und im Fall des Berliner Anschlags von Anis Amri besichtigen.

Abgesehen von Auswertungs- und Analysedefiziten ist insbesondere beim Staatsversagen rund um den NSU deutlich geworden, dass sich das V-Leute-System des Verfassungsschutzes und das V-Personen-System des polizeilichen Staatsschutzes nicht bewährt hat – ganz gelinde gesagt. Aber auch unabhängig davon stellt sich die Frage, wer irgendwann mal auf die Schnapsidee gekommen ist, Extremisten zu „Vertrauensleuten“ beziehungsweise „Vertrauenspersonen“ zu erklären und mit ihnen den Schutz der Verfassung und die Gefahrenabwehr oder gar die Strafverfolgung sicherstellen zu wollen? Dieser Ansatz ist strategisch an Absurdität kaum zu überbieten.

Mag sein, dass dieses Unsicherheitskonzept der Bequemlichkeit geschuldet war, keine Profis auf die Szenen und Milieus ansetzen zu wollen: Verdeckt arbeitende Staats- und Verfassungsschutz-Beamte, die ausgebildet, gecoacht und legendiert werden müssen. Ein klassischer Verdeckter Ermittler benötigt nicht nur falsche Papiere, sondern einen Tarnberuf, eine Tarnwohnung und einiges mehr. Und falls er zeitnah auffliegt, ist viel Zeit und Geld vergeblich investiert.

Was sind „nicht offen ermittelnde Polizeibeamte“?

Aber es geht auch eine Nummer kleiner beziehungsweise günstiger. „Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte“ (NOEP) werden im Unterschied zu Verdeckten Ermittlern nicht full-time, sondern nur punktuell eingesetzt. Von der Polizistin Michèle Kiesewetter, zu deren Ermordung sich der NSU bekannt hat, ist beispielsweise publik geworden, dass sie gelegentlich „genoept“ hat. Es ging um Scheinkäufe im Drogenmilieu, um das Auskundschaften von Diskotheken im Bereich der Organisierten Kriminalität.

„Nicht offen ermittelnde Polizeibeamte“ operieren zeitlich befristet. Sie gehen in Einsätze, bei denen es nicht erforderlich ist, langfristige Kontakte zu Zielpersonen aufzubauen – und es nicht notwendig ist, in kleine abgeschottete Zirkel vorzudringen. Sie sind für ein Arbeitsumfeld geeignet, in dem ganz selbstverständlich neue Personen auftauchen und wieder verschwinden können – wie im nationalsozialistischen Untergrund, der konspirativ arbeitenden Neonazi-Musikszene. Denn im Publikum herrscht Fluktuation. Trotzdem scheinen hier keine „nicht offen ermittelnden Beamten“ oder gar Verdeckte Ermittler eingesetzt zu werden. Wäre dies der Fall, müsste das aus Gerichtsverfahren bekannt sein.

Die gesetzlichen Voraussetzungen sind vorhanden

Warum das unterbleibt, ist rätselhaft. Denn die rechtlichen Voraussetzungen für verdeckte Einsätze im rechtsextremistischen Milieu sind gegeben. Einerseits in den Polizeigesetzen, welche die Gefahrenabwehr regeln – also Einsätze, die im Vorfeld von etwaigen Straftaten ansetzen. Andererseits in der Strafprozessordnung, welche die Straftatenverfolgung regelt.

Als Journalist, der insbesondere in den Jahren 2003 bis 2012 undercover in der Neonazi-Szene recherchiert hat, habe ich ähnlich gearbeitet, wie es „nicht offen ermittelnde Polizeibeamte“ oder „nicht offen ermittelnde Verfassungsschutzbeamte“ tun könnten. Zum Erfolgsrezept gehören mittel- bis langfristig angelegte Arbeits-Identitäten im virtuellen Bereich, also in den früheren Foren und heutigen sozialen Netzwerken des Internets – sowie kurzfristig angelegte Arbeits-Identitäten für Veranstaltungsbesuche. Das reicht völlig aus, um Straftaten vom Hitlergruß bis zum Mordaufruf zu dokumentieren, Rechtsrock-Bands aufzuklären, Neonazi-Kader zu ermitteln und herauszufinden, wer mit wem in der Szene zusammenarbeitet.

Was ein Journalist kann, muss auch die Polizei können

Wenn Verfassungsschützer, vor allem aber Polizisten so arbeiten würden, wie ich es journalistisch getan habe, könnte die rechtsextremistische Szene mit Gerichtsverfahren überzogen, die Nachwuchswerbung minimiert und es könnten die Geschäfte in der Bewegung nachhaltig gestört werden. Im Grundsatz ist die Taktik ganz einfach: Polizei und Staatsanwaltschaften müssten lediglich die Straftaten der rechtsextremistischen Szene konsequent verfolgen, wozu sie von Gesetzes wegen verpflichtet sind. Dieser Pflicht kommen sie bisher allerdings nur sehr eingeschränkt nach.

Die Rechtsrock-Szene ist das Herzstück der braunen Bewegung – in strategischer und logistischer Hinsicht. Erstens werden mit der Musik junge Leute geködert, um sie als Nachwuchs zu rekrutieren. Zweitens finanziert sich die Bewegung zu einem Großteil mit Konzerterlösen sowie dem Verkauf von CDs und Band-Shirts. Und je mehr neue Leute gewonnen werden können, desto besser laufen die Geschäfte.

Gerade in diesem Milieu sind Straftaten an der Tagesordnung. So kann ich mich an kein konspirativ organisiertes Konzert erinnern, bei dem es nicht zu Straftaten gekommen wäre. Obendrein habe ich etliche öffentliche Musikveranstaltungen besucht, bei denen ebenfalls Straftaten begangen wurden. Insgesamt habe ich mehr als 50 Gigs mit Rechtsextremismus-Bezug erlebt.

Wie sich „Ordnungshüter“ von Neonazis austricksen lassen

Taschenspieler-Tricks reichen den Nazis vielfach aus, um die Polizei zu verladen. Sofern ein konspirativ organisiertes Konzert entdeckt wird, behaupten die Veranstalter, es handle sich um eine private Feier beziehungsweise um eine geschlossene Gesellschaft. Das bedeutet, dass die Polizei erstmal keinen Zutritt hat. Und sofern der Rahmen tatsächlich privat wäre, wären Propagandadelikte wie Volksverhetzung nicht strafbar. Denn Propagandadelikte setzen Öffentlichkeit voraus.

Folglich muss die Polizei wissen, wie zu den Konzerten mobilisiert wird – um deren öffentlichen Charakter nachweisen zu können. Das ist die Voraussetzung dafür, um umfassend handeln und ein Konzert letztendlich auflösen zu können.

Zu diesem Zwecke müssen sich Polizeibeamte mit erfundenen Identitäten im Internet bewegen. Jede dieser Identitäten muss über E-Mail-Adresse, Facebook-Account, Handy-Nummer und ähnliches verfügen. Wer seine virtuellen Accounts und Kontakte einschlägig gestaltet, bekommt Konzerthinweise – Beweismittel, dass öffentlich mobilisiert wird.

„Persönliche Einladung“? Wer’s glaubt …

Selbst wenn auf einem Konzert-Flyer „Persönliche Einladung“ steht, ist der Gig noch lange nicht privat. Man kann die angegebene E-Mail-Adresse oder Kontakt-Nummer einfach mal unter anderem Namen kontaktieren, um weitere Informationen zum Konzert wie etwa einen konspirativen Treffpunkt zu erhalten. Wenn das klappt, ist das der Beweis, dass kommen kann, wer will – die Veranstaltung also öffentlich ist. Daran ändert sich auch nichts, wenn die – den Veranstaltern völlig unbekannten – Personen namentlich erfasst und der Polizei gegebenenfalls auf einer Gästeliste vorgelegt werden. Aber dazu muss die Polizei eben wissen, dass jeder auf die Gästeliste kommen konnte, der es wollte.

Die Beamten, die das Konzert letztlich besuchen, sind den Veranstaltern sowieso nicht bekannt. Wenn sie problemlos hineinkommen, ist der Nachweis der Öffentlichkeit final erbracht. Unter diesem Aspekt sind „nicht offen ermittelnde Beamte“ sogar besser geeignet, als tiefgehend in der Szene verankerte Verdeckte Ermittler. Denn wenn der als „Kamerad“ bestens bekannte Verdeckte Ermittler zu einem Konzert hineinkommt, taugt das nicht als Nachweis der Öffentlichkeit.

Aus Gefahrenabwehr kann Strafverfolgung werden

In der Hauptsache geht es aber um die Straftaten. Selbst wenn ein Einsatz auf polizeigesetzlicher Grundlage zur Gefahrenabwehr begonnen wird – im Laufe des Konzerts kann er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf Basis der Strafprozessordnung fortgesetzt werden …

Ob Straftaten hernach durch Zeugenaussagen von mehreren Beamten oder durch Ton- oder Videoaufnahmen belegt werden, ist zweitrangig. Die festgestellten Straftaten können genutzt werden, um ein Konzert umgehend aufzulösen – oder um zu sammeln und dann sehr viele Besucher, Bandmitglieder, Veranstalter und Saalvermieter gleichzeitig mit Strafverfahren zu überziehen. Gerichtsverfahren und entsprechende Strafen mindern mindestens den Fun-Faktor.

Aber auch bei nicht straffälligen Konzertbesuchern würde es den Erlebniswert beeinträchtigen, wenn die Polizei regelmäßig Konzerte auflösen würde. Viele Besucher würden nicht mehr so weite Anfahrtswege in Kauf nehmen, wenn sie damit rechnen müssten, dass nach einer Stunde schon wieder Schluss ist. In der Folge würden die Konzerte kleiner, die Einnahmen in der Veranstalterkasse, am Tresen und an den Verkaufsständen automatisch geringer. Veranstalter dürften sich zudem genötigt sehen, manche Konzerte in wirklich privatem Rahmen zu organisieren. Auch das würde den Personenkreis und damit die Nachwuchswerbung einschränken. Und die Handlungsalternative der Neonazis, Konzerte auch abseits der Großevents nur mit legalen Liedern durchzuziehen, würde die Attraktivität und damit die Anziehungskraft deutlich mindern.

Die Publikumsmagneten der Neonazis ausschalten

A propos Großevents: Veranstalter, die Straftaten geduldet haben und das womöglich sogar wiederholt, könnten wohl kaum mehr als Großveranstalter fungieren. Denn wenn ein Anmelder nachweisbar persönlich ungeeignet ist, um eine „politische Versammlung“ rechtskonform zu leiten, könnte das vom zuständigen Ordnungsamt als Verbotsgrund herangezogen werden.

Hinzu kommt: Falls die Auftritte von fast allen deutschen Bands und damit massenhaft Straftraten dokumentiert würden, wären diese Beweismittel dazu geeignet, die entsprechenden Musikgruppen mit Auftrittsverboten zu belegen, was „politische Versammlungen“ betrifft. Damit würden den Großveranstaltern Publikumsmagneten abhandenkommen und sie in der Folge zu Kleinveranstaltern – was mit Umsatzeinbußen für alle Beteiligten verbunden wäre.

Einfach die Pflichten erfüllen – und damit Erfolge erzielen

Fazit: Wenn die Sicherheitsbehörden ihrer Pflicht zur Gefahrenabwehr und zur Strafverfolgung nachkommen würden, dann könnte die rechtsextremistische Szene personell ausgedünnt und der Gewinn der Szene-Geschäftsleute in verschiedener Hinsicht geschmälert werden – und damit die braune Bewegung insgesamt geschwächt werden. Dazu bedarf es verdeckter Ermittlungsmethoden. Denn es darf nicht sein, dass Rechtsextremisten weiterhin hemmungslos Straftaten begehen können, ohne dass sie dafür strafrechtliche Konsequenzen fürchten müssen.

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