Rechts rockt rekordverdächtig – eine Lagebeschreibung

28.09.2018 Die Neonazi-Konzerte werden seit Jahren wieder mehr und zunehmend größer. 259 rechtsextremistische Musikveranstaltungen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2017 gezählt. Die öffentlich veranstalteten Großevents zogen bis zu 6000 Rechtsextremisten. Im Oktober 2016 gelang es einer selbst ernannten „Reichsmusikkammer“ aus Deutschland sogar, 5000 Szene-Leute auf konspirativem Wege in die Schweiz zu schleusen. Dass Sicherheitsbehörden trotz dieser Menschenmassen überrumpelt werden konnten … – das ist krass. Denn die Rechtsextremisten wurden zunächst in den Raum Ulm mobilisiert und mussten folglich eine EU-Grenze überwinden, ehe sie im schweizerischen Unterwasser der Hass-Musik frönen konnten.

Bei solchen Großevents werden allein mit den Eintrittsgeldern Umsätze in einer Größenordnung von bis zu 200.000 Euro generiert. Denn 35 Euro sind ein üblicher Eintrittspreis, auch wenn zuweilen nur von freiwilligen Spendenbeträgen die Rede ist. Hinzu kommen die Verkaufserlöse von Getränken, Speisen und Merchandising-Artikeln.

Rechtsextremismus als Geschäftsmodell

Das Geschäft mit CDs und Szene-Kleidung boomt aber nicht nur bei Konzerten, sondern generell. Während sich Neonazis früher mit Stangenware von unpolitischen Marken wie „Lonsdale“ – wegen der Buchstaben NSDA im Namen – begnügen mussten, sind gibt es zwischenzeitlich eine solide Auswahl an eigenen Mode-Labeln. „Thor Steiner“ und „Erik & Sons“ waren nur der Anfang – hinzu kamen „Ansgar Aryan“, „Greifvogel-Wear“, „Black Legion“ und andere.

Rechtsextremismus ist längst ein lukratives Geschäftsmodell. Den Weg zum wirtschaftlichen Erfolg der braunen Bewegung haben so genannte „Sicherheitsbehörden“ und die politisch verantwortlichen Innenminister geebnet. Sie, beziehungsweise viele von ihnen, zeigen nicht nur zu wenig Engagement im viel beschworenen „Kampf gegen Rechts“ – sondern sie tun nicht einmal das, wozu sie von Gesetzes wegen verpflichtet wären … Denn Straftaten in großer Zahl werden einfach nicht verfolgt. Das beginnt bei „Hitlergrüßen“ und „Sieg Heil“-Rufen und reicht bis hin zu Mordaufrufen gegen politische Gegner, Ausländer und Juden, die bevorzugt musikalisch transportiert werden. Hinzu kommen Gewaltstraftaten, deren Verurteilung teilweise Jahre auf sich warten lässt, weil Staatsanwaltschaften und Gerichte an Personalnot leiden.

Struktur-Förderprogramm für die Neonazi-Szene

Wie nachhaltig ein solches Neonazi-Struktur-Förderprogramm wirken kann – ein Struktur-Förderprogramm durch Unterlassen –, das ist ausgerechnet im rot-rot-grün regierten Thüringen zu besichtigen. Seit dem Jahr 2004 war ich dort bei 13 rechtsextremistischen Musikveranstaltungen. Bei elfen davon habe ich Straftaten registriert. Die Polizei hat in keinem Fall eingegriffen. Einen Teil der Konzerte haben die Thüringer Sicherheitsbehörden seinerzeit nicht einmal als rechtsextremistisch bewertet. In meinem Buch „,Blut muss fließen‘ – Undercover unter Nazis“ habe ich dies im Jahr 2012 ausführlich dargelegt. Und nicht nur der damaligen Oppositionspartei „Die LINKE“ war die Problemlage vollauf bewusst, wie unzählige Kleine Anfragen belegen.

Rot-Rot-Grün hätte folglich nach der Regierungsübernahme im Jahr 2014 von Anfang an dafür sorgen müssen, dass der Rechtsstaat in Thüringen wieder funktioniert. Denn es geht hier nicht etwa um die Forderung nach einer besonders antifaschistisch geprägten Landespolitik – sondern darum, dass Straftaten verfolgt werden, wozu Polizei und Staatsanwaltschaften verpflichtet sind.

Doch passiert ist – was die rechtsextremistische Hassmusik-Szene betrifft – im Ergebnis nichts. Unter Rot-Rot-Grün können die Neonazis genauso ungestört Abhitlern wie früher unter Schwarz-Rot. Selbst beim Rekordkonzert in Themar im Jahr 2017, als 6000 Rechtsextremisten kamen, versagte die Polizei trotz langer Vorbereitungszeit ganz offensichtlich: Besucher konnten massenhaft die Arme zum Hitlergruß heben – die Staatsmacht griff nicht ein und präsentierte sich damit faktisch machtlos.

Rechtsrock-Paradies unter rot-rot-grüner Regierung

Unter Rot-Rot-Grün ist Thüringen zum Konzertparadies Nummer 1 der Neonanzis in Deutschland aufgestiegen. Das Bundesland mit einer Regierung unter parteilinker Führung machte dem tiefstschwarz regierten Sachsen die Spitzenposition in Sachen Rechtsrock streitig. Erfolgreich, wenn man die Zahl und Größe der Konzerte zusammen betrachtet.

Die letzte Achtung vor dem demokratischen Rechtsstaat – im Sinne seiner Beachtung – ist den Neonazis in Thüringen abhandengekommen. Sie mussten sich die rechtsfreien Räume, die sie heute haben, nicht einmal erkämpfen. Sie wurden ihnen überlassen. Zum Beispiel in der so genannten „Erlebnisscheune“ eines Kirchheimer Hotels mit dem Namen „Romantischer Fachwerkhof“. Seit rund zehn Jahren nutzt die Neonazi-Szene die Location – „Hammerskins“, „Reichsmusikkammer“ und andere. Ich habe dort in den Jahren 2010, 2016 und 2018 Konzerte besucht und jeweils Straftaten gesehen, die keinerlei Konsequenzen nach sich zogen.

Bei meinem letzten Konzertbesuch in Kirchheim, am 11. August 2018, hatten die Organisatoren derart Oberwasser, dass sie die Besucher nicht einmal mehr auf Handys und Kameras durchsuchen ließen. Innen zogen manche Besucher auch völlig ungeniert ihr Smartphone heraus. Vor zehn Jahren, als die Rechtsextremisten noch regelmäßig mit meinen Undercover-Drehs rechnen mussten, wären die betreffenden Personen von ihren eigenen Kameraden angegriffen worden – wie ich das beispielsweise einmal in Belgien und einmal bei Freiburg erlebt habe. Doch dieses Mal störte sich nicht einmal jemand daran, als einer der beiden Typen am Mischpult mit seinem Handy sogar die strafbaren Lieder filmte, welche die Band „TreueOrden“ spielte. Obendrein hat dieser (Video)-Kamera(d) auch strafbare Handlungen aus dem Publikum dokumentiert.

Mordaufrufe ohne strafrechtliche Konsequenzen

Die Rechtsextremisten riefen bei diesem Kirchheimer Konzert dazu auf, „die Messer in den Judenleib flutschen“ zu lassen. Sie empörten sich beim Mitgrölen eines gecoverten „Landser“-Songs, dass die als „Schweine“ beschimpften Macher der einstigen Wehrmachts-Ausstellung noch am Leben seien: Jan Philipp Reemtsma und Hannes Heer. Dem folgte der unmissverständliche Mordaufruf: „Volk ans Gewehr, gegen Reemtsma und Heer.“

Auch der als „Kahlkopf“-Sänger zur Skinhead-Legende gewordene Lutz Christopher ging bei seinem Bühnen-Comeback nach geschätzten 25 Jahren – er selbst sprach von 35 Jahren Pause, aber das muss ein Rechenfehler sein – in die Vollen. Einen „Kahlkopf“-Song gegen Linksautonome bot er in einer Live-Version dar, in der er die Passage „Sperrt sie alle ein“ durch den Mordaufruf „Schlagt sie alle tot“ ersetzte. Und das sind nur einzelne Beispiele des strafbewehrten Kultur-Programms an diesem Abend.

Rot-Rot-Grün fehlt nachhaltige Strategie

Wer derlei Treiben nicht unterbindet, der bewirkt, dass sich Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit ungebremst Bahn brechen können und die entsprechende Hassmusik boomt. Zwar ist es den Thüringer Behörden gelungen, am 25. August 2018 den „Rock gegen Überfremdung III“ zu verhindern, bei dem die Neonazis ihren Besucherrekord von 6000 Leuten knacken wollten. Aber das war nicht das Ergebnis einer nachhaltigen Strategie gegen die Rechtsrock-Szene, sondern glücklichen Umständen geschuldet: Der Grundstücksvermieter konnte nicht frei über das Konzertgelände verfügen – vielmehr ist offenbar sogar der Bund einer der Miteigentümer.

Die Rechtsextremisten haben darauf noch am selben Tag mit einem Spontankonzert in Kloster Veßra reagiert, wo Tommy Frenk in seinem Gasthof „Goldener Löwe“ seit Jahren weitgehend ungestört einschlägige Musikveranstaltungen realisieren kann. Es kamen nach Medienberichten bis zu 500 Leute. Und am 5. und 6. Oktober 2018 wollen sich die gescheiterten Konzert-Organisatoren am Staat rächen, indem sie gleich zwei Großkonzerte veranstalten: Den „Rock gegen Überfremdung“, der im Jahr 2017 rund 6000 Personen nach Thüringen lockte, und ein „Rocktoberfest“, wie es 2016 etwa 5000 Personen in die Schweiz zog.

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